Nachdem sie eigentlich Anfang Juni stattfinden sollte, aber wegen Corona verschoben werden musste, hat es uns sehr gefreut, dass wir auch in diesem Jahr unsere Zukunftswerkstatt haben stattfinden
lassen können. Und das sogar mit einem neuen Teilnehmerrekord von 40 Flowies in der Haupturlaubszeit!
Wie es war? Lassen wir doch am besten die Eindrücke aus Sich von Teilnehmerin Sara schildern:
"Nach einer schwitzig-stickigen Fahrt im Zug von Hamburg nach Halle an der Saale freue ich mich
fast über den sturzbachartigen Regen, der mich dort erwartet. Klitschnass komme ich zu Fuß in der
Jugendherberge, die im Laufe des Wochenendes vielfach als überraschend schön bezeichnet
werden wird, an. Schlüssel abholen, Sachen zum Trocknen im Zimmer aufhängen, Abendessen. Ich
hatte mir im Vorfeld wenig Gedanken über Erwartungen oder Wünsche zu meiner ersten Flow
Zukunftswerkstatt machen können und so betrete ich unseren Tagungssaal am ersten Abend
ziemlich unaufgeregt. Die Fenster des Saals sind weit geöffnet, einige Ventilatoren stehen auf den
Tischen verteilt und sorgen für ein angenehmes Klima. Die Tischordnung selbst ruft Erinnerungen
an mein Abitur wach; sie stehen in größtmöglichem Abstand zueinander und sind nach vorn
ausgerichtet. Aha, Corona wissen die 2020-Erprobten gleich, dennoch nimmt diese Tischordnung
etwas Intimität und Nähe aus dem ersten Zusammentreffen der Teilnehmenden. Es ist
schwieriger, aufeinander zuzugehen. Die Organisator*innen reagieren auf diese Stimmung
souverän mit einigen Klassikern der Gruppenfreizeit-Ice-Breaker-Kunst, ein Quiz zur Flow-Historie
sorgt für großes Hallo und spätestens als die erste Nacht hereinbricht und Werwölfe, die Hexe und
Amor nacheinander erwachen sind die Knoten bei mir geplatzt und ich fühle mich einfach wohl.
Am nächsten Morgen verwöhnt uns das Essensausgabepersonal der Herberge mit pappigen
Brötchen, die sie aber mit Freundlichkeit und Überschwang wettmachen. Den Vormittag
verbringen wir im Open Space: In einer Vielzahl von Arbeitsgruppen beschäftigen wir uns mit
unseren Ideen, Wünschen und Utopien zur Gestaltung der Flowgruppen und plötzlich finde auch
ich nach meiner anfänglichen Unaufgeregtheit ganz viele Themen, die mich begeistern. Motivation
greift um sich, die Tische rücken näher zusammen.
Auf geht’s nach Leipzig zum Teamduell. Der Blutdruck steigt, während wir gegeneinander Roller
fahren, Erbsen mit Essstäbchen aufsammeln und Tiergeräusche erkennen. Ein Teilnehmer erzählt
mir hinterher, er habe währenddessen immer wieder versucht, eine objektivere Perspektive auf
das Geschehen und die Interaktion einzunehmen. Man müsse solche Situationen mal filmen, in
denen alle aufgeregt durcheinanderstottern; das hätte schon manchmal was Absurdes, sagt er. Ich
weiß, was er meint.
Abends kommen wir zurück in die Jugendherberge und über köstlichem vegetarischem, veganem
und karnivorem Grillgut entstehen wunderbare Gespräche. Es sind die altbekannten Themen, die
zum Stottern auftauchen: Welche Erfahrungen hast du in deiner Schulzeit gemacht? Wäre alles
anders/ besser/ glücklicher/ leichter, wenn ich nicht stottern würde? Was ist anstrengender – eine
starke Symptomatik oder Vermeidung par excellence? Obwohl ich das Gegenteil immer wieder
erwarte, werden diese Themen in ihrer Redundanz nicht eintönig oder langweilig, sondern zeigen
auf, wie viel Raum sie oft im Leben Stotternder einnehmen, wie wichtig es ist, dass sie besprochen
werden. So sprechen wir über Belastendes, aber auch über die Momente, in denen wir uns stark
fühlen. Dieses mächtige Gefühl in der Brust, so ein warmes Leuchten, das dazu führt, dass das
Stottern sich für einige Momente verkriecht und das Sprechen frei fließt, kennen wir alle. Wir
müssen in der Beschreibung dieses Gefühls nicht konkreter werden, wir wissen, worüber der oder
die andere spricht. Das fühlt sich fast so gut an wie das warme Leuchten selbst.
Später am Abend telefoniere ich kurz mit meinem Freund. Er erzählt mir von seinem Tag und ich
bin ausnehmend irritiert von seinem flüssigen Sprechen. Es ist alles eine Frage der Perspektive.
Der Sonntag bringt noch einen Schwung Realität mit sich, denn jetzt sollen die großen Ideen vom
Samstag (die Deutschlandtournee mit dem Tanztheaterprojekt oder ein mehrtägiger Flow-Urlaub)
in konkrete erste Planungsschritte übersetzt werden. Die Euphorie weicht ein wenig der
Ernüchterung angesichts der organisatorischen Belange. Aber am Ende stehen unter vielem
anderen ein Tanztheaterauftritt beim BuKo 2021, der an zwei Wochenenden vorbereitet werden
soll, und ein zweitägiger Kanutrip schwarz auf weiß auf den Dokumentationszetteln.
Ein etwas überhasteter offizieller Abschied, der vor allem von ganz viel Applaus für das Orga-Team
– allen voran für Tobias! - geprägt ist, noch einmal Mittagessen, Abfahrt. Kleckerweise geht die
Gemeinschaft auseinander. Die Sonne scheint, es herrscht eine warme Stimmung und ich mache
mich wieder auf den schwitzig-stickigen Weg nach Hamburg."
In der Bildergalerie seht ihr noch ein paar Impressionen: Vielen Dank an Michael Braun (wuerzburg-stottert.de) für die tollen Fotos!